Durch den Führungsprozess Mitarbeiter zu beteiligen und zu motivieren ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Bei meinen Projekten lege ich daher großen Wert auf die Beteiligung vieler Mitarbeiter und auf die freiwillige Auswahl von Aufgaben. Für mich ist die freiwillige Auswahl von Aufgaben ein Kernelement, um Veränderungen wirksam und nachhaltig zu etablieren.
Dieser Punkt kann nicht nur die Projektarbeit verbessern, sondern die Zusammenarbeit im Unternehmen entscheidend ändern und stärken.
Menschliches Bedürfnis und Verhalten
Der Grund, warum ich die Auswahl von Aufgaben fest im Führungsprozess verankere, liegt in den grundsätzlichen menschlichen Bedürfnissen und Verhalten. Dinge und Vorhaben, die wir eigenständig ausgesucht haben, verfolgen wir mit viel mehr Engagement. Als Folge geben wir nicht so einfach auf und tun vieles, damit das Vorhaben realisiert werden kann. Das eigenständige Mitwirken ist auch ein Grundbedürfnis, sonst können wir keinen Einfluss nehmen. Dies eröffnet uns weiterhin die Möglichkeit, einen Teil von uns selbst zu verwirklichen.
Eigentlich ein sehr einfaches menschliches Bedürfnis und Verhalten. Die Umsetzung ist in Unternehmen jedoch eine große Herausforderung.
Etabliert versus neuer Führungsprozess
Der Gedanke, dass Führungskräfte Entscheidungen treffen müssen, Dinge vorgeben und den Mitarbeiter “helfen” sollen Ihre Aufgaben zu erledigen, prägt den heutigen Arbeitsalltag noch relativ stark. Das ist oft kein bewusstes Führungsverhalten, sondern geschieht unbewusst. Der exzellente Verkäufer wird zum Verkaufsleiter befördert, weil er schließlich seine Aufgabe gut gemacht hat.
Aber zur Verdeutlichung vielleicht noch ein kleiner Schwank aus meinen eigenen Erfahrungen:
Als ich vom Serviceleiter in die nächste Position befördert wurde, wollte mein damaliger Vorgesetzte, dass ich eine Art „Regelbuch“ für alle unsere Serviceleiter schreibe. Nach dem Motto: „So wie Du arbeitest sollen alle anderen arbeiten. Dann sind sie auch ebenso erfolgreich“. Ich empfand das schon damals als eine eher befremdliche Idee, allerdings aus einem anderen Grund als heute. Die Vorstellung so vieler Klone von mir flößte mir etwas Angst ein. Wollen wir im Unternehmen wirklich Mitarbeiterklone? Mein Vorgesetzter hat seine Idee Gott sei Dank verworfen.
Als ich Jahre später wieder einmal einen neuen Vorgesetzten erhalten sollte, stellte dieser seine Vorstellung gemeinsamer Teamarbeit vor. Also zeichnete er aufs Whiteboard, wie wir die Aufgaben verteilen und wie wir es organisieren würden, dass andere unsere Vorgaben umsetzten. Zu diesem Zeitpunkt schreckten mich nicht mehr die Yanet-Klone ab, sondern mir war klar, dass wir die ersehnte Leistung so nicht erreichen würden. Wo bleiben hier Vielfalt und Ideen? Eine kleine Gruppe kann den Wettbewerbskampf nicht alleine gewinnen! Egal wie gut das Team ist.
Vom angelernten Führungsverhalten zu neuen Ufern aufbrechen
Die Geschichten beschreiben die Grundgedanken, die oft bei Führungskräften zu finden sind. Zu Beginn meiner Laufbahn habe ich nicht anders geführt. Dieses Führungsverhalten unterscheidet sich, meiner Erfahrung nach nicht, weder in gehobenen Managementebenen noch in kleiner oder mittelständiger Unternehmen. So haben wir es Jahrzehnte lang gelernt und vorgelebt bekommen.
Ein zeitgemäßer Führungsstil verlangt Führungskräften aber ab, Aufgaben nicht mehr zu verteilen und vorzugeben. Bestenfalls sogar Dinge nicht mehr selbst zu entscheiden. Mitarbeiter wollen sich einbringen und selbst entscheiden. Sie fordern dieses auch. Mal direkt mal indirekt. Daher ist die freiwillige Auswahl von Aufgaben eing gutes Werkzeug, um den geänderten Anforderung gerecht zu werden.
Diese Änderung ist wichtig, braucht aber einiges an Überzeugung, Mut, Zeit und Geduld. Vor allem einen veränderten Führungsprozess. Der vielleicht so aussehen könnte:
Führungsprozess anpassen
Wenn Sie Ihren Führungsprozess verändern möchten, müssen Sie Ihren Führungsablauf gut kennen. Nur das ermöglicht es Ihnen, Ihren Führungsprozess anzupassen oder an persönlichen Führungsthemen zu arbeiten. Haben Sie Mitarbeitende mit Führungsaufgaben, sollten Sie über die individuellen Führungsabläufe in den Austausch kommen. Bestimmen Sie dann die wesentlichen Punkte in der Unternehmensführung, die Sie im Unternehmen verankern möchten.
Wenn ich Rückmeldungen erhalte, veranschauliche ich mir meinen Führungsprozess und ordne sie den Prozessschritten zu. Wenn ich beispielsweise Kommentare erhalte wie, „Oh, ein Lob von Dir!“ oder „Du hast mich heute noch nicht gelobt!“, muss ich also an meinen positiven Rückmeldungen arbeiten, d. h. mehr loben und zwar auch für Dinge, die ich für selbstverständlich halte. Am Führungsprozess arbeiten wir ein Leben lang.
Wenn Sie sich genau beobachten, werden Sie feststellen, dass auch Sie nach einem bestimmten Muster führen. Schreiben Sie diesen Ablauf doch einmal für sich auf. Das nimmt etwas Zeit in Anspruch, aber Sie erhalten einen Aha-Effekt. Auf diese Weise lassen sich Kleinigkeiten leichter anpassen. Erlauben Sie sich kleine Schritte in Richtung auf Ihr Ziel. Der Weg ist lang und braucht Ausdauer.
Herausforderungen bei der Anpassung des Führungsverhaltens
Hürden bei der Freiwilligensuche sind die Gewohnheiten im Führungsverhalten der Führungskräfte und der Teams. Entweder fällt es den Führungskräften schwer, loszulassen oder sie sind ungeduldig, weil es gerade zu Beginn Zeit benötigt, Freiwillige zu finden. Viele fallen hier gerne in alte Muster zurück. Sie entscheiden wieder selbst, weil es effektiver ist, die Aufgabe erledigt werden muss oder weil sie befürchten, keinen Freiwilligen zu finden. Es ist sehr mühsam neues Führungsverhalten anzunehmen, weil unser Gehirn lieber im Auto-Modus arbeitet und Energie spart, wo es nur kann! Und nicht zu unterschätzen ist auch die Belastung durch alle täglich zu erledigenden Aufgaben. Am Morgen ist man noch voller guter Vorsätze, aber je mehr die Energie schwindet, desto schwieriger wird es, den neuen Führungsprozess beizubehalten.
Was ich oft in diesem Zusammenhang höre und mir begegnet:
Die Aufgaben sind im Team bereits verteilt. Aber wenn Sie kurz den Gedanken zulassen, dass ein neuer Vorgesetzter die Aufgaben mit Sicherheit anders verteilen würde, hilft es manchmal, die Dinge anders zu betrachten. Ich habe es zumindest noch nie erlebt, dass ein neuer Vorgesetzter nichts ändert.
Auch könnten einige im Team entrüstet reagieren. Immerhin sind Sie dafür da, die Aufgaben zu verteilen und das ist schließlich Ihre Entscheidung. Das ist Ihr Job und für alle Beteiligten auch bequem. Glauben Sie mir, das kommt häufiger vor, als man denkt.
Und nicht zuletzt: Was wollen Sie eigentlich mit dieser Änderung bezwecken? Warum dieser Wandel? Sie sollten hier Antworten für sich finden, mit denen Sie sich wohl fühlen. Meine Grundannahme kennen Sie ja. Den Mitarbeiter die Möglichkeit geben, einen Teil von sich selbst zu verwirklichen, so haben alle etwas davon. Ich muss nicht raten und die Mitarbeiter können gemäß persönlichen Vorlieben agieren.
Nur weil Experten oder andere empfehlen den Führungsprozess anzupassen, wird an dieser Stelle nicht als Motiv das Führungsverhalten zu ändern ausreichen. Es gibt einen Grund, warum Sie dieser Methode oder Arbeitsweise zustimmen. Graben Sie etwas tiefer, dann finden Sie Ihre Antwort. Warum stimmen Sie mir und anderen zu? So finden Sie Ihre persönliche Motivation, auf der Sie aufbauen können. Sie wird Ihnen helfen durchzuhalten.
Rahmenbedingungen gestalten
Das Thema „Freiwillige für Aufgaben suchen“ im Führungsprozess zu verankern, ist eine schwierige Disziplin. Denn Sie müssen die Frage beantworten, welche Rahmenbedingungen geändert werden sollten.
Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie wollen ein neues Projekt umsetzen. Einige Mitarbeiter werden sich am Projekt beteiligen, um Sie zu unterstützen. Sie empfinden die Zusammenarbeit mit Ihnen als angenehm. Diesen Personen werden die Aufgaben nicht so wichtig sein. Einige Mitarbeiter werden gerade wegen dem ausgewählten Projekt Ihrer Einladung zur Teilnahme am Projekt folgen, weil Sie ebenfalls dafür brennen oder Ihnen das Thema sehr wichtig ist. Das kann sehr unterschiedliche Gründe haben, eventuell sind die Mitarbeiter selbst von der Veränderung betroffen. Und wieder andere werden weder Zeit noch Lust haben sich zu beteiligen. In den zwei letzten Beispielen spielt die Beziehung zu Ihnen eine eher untergeordnete Rolle.
Damit Sie so viele Freiwillige wie möglich gewinnen, sollten Sie, bevor Sie Ihr Vorhaben vorstellen und um Unterstützung werben, über folgende Punkte nachdenken.
- Welche Interessen / Vorlieben haben die Mitarbeiter oder was beschäftigt sie gerade?
- Welche Beziehung haben Sie zu wem?
- Für welche Themen brennen Ihre Mitarbeiter oder sind ihnen wichtig?
- Welche Auswirkungen hat das Projekt auf welchen Mitarbeiter?
Mit diesem Hintergrundwissen können Sie die Rahmenbedingungen festlegen und die Einladung aussprechen. Hiermit sind nicht nur die finanziellen Rahmenbedingungen gemeint, sondern Ort, Kommunikationswege, Organisation und Ablauf, soziale Umgangsform und vor allem die Art und Weise der Zusammenarbeit.
Für unser Beispiel könnten Sie sich folgende Fragen stellen:
- Wann und wo findet das Projekt statt? Je nach Ort und zeitlichem Rahmen gewinnen Sie oder verlieren Sie Teilnehmer. Haben Sie schon einmal in Ihrem Unternehmen einen anderen Ort für ein Meeting ausprobiert?
- Sollten oder können die Teilnehmer vielleicht etwas vorbereiten, z. B. eigene Ideen und Vorstellung zum Thema?
- Welche Aufgaben / Themen wollen Sie ansprechen?
- Welche Aufgaben sollen übernommen werden?
- Wer unterstützt Ihre Idee/ Projekt? Diese Mitarbeiter werden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit Aufgaben übernehmen wollen.
- Wie läuft das Kick-off Meeting ab? Geht es sofort los oder haben alle etwas Zeit, sich zu begrüßen und auszutauschen?
- Wie wollen Sie, dass die Mitarbeiter das Projekt und das Kick-off Meeting im Gedächtnis behalten?
- Oder wollen Sie es vorankündigen, damit die Mitarbeiter sich austauschen und vorbereiten können?
- Haben Sie einen internen Chat-Kanal, mit dem die Teilnehmer oder Sie mit allen anderen kommunizieren können?
- Wie sieht der Prozess oder Arbeitsalltag nach der Umsetzung des Projektes aus?
Wie sehen die wesentlichen Rahmenbedingungen für das gesamte Unternehmen aus? unternehmensweite Rahmenbedingungen ändern Sie am besten Schritt für Schritt. Erst ein Element, dann ein zweites und dann noch eins etc. Erst, wenn das erste verankert ist, folgt das nächste. Lassen Sie aber der Abteilungs- oder Fachbereichsleitung genügend Freiraum, um individuelle Anpassungen für Ihr Team vorzunehmen.
Tipps zur Umsetzung des neuen Führungsverhaltens
Wenn Sie die freiwillige Übernahme von Aufgaben zum ersten Mal in Ihrem Führungsprozess einbinden, werden Sie feststellen, dass nach der Vorstellung der Aufgaben erst einmal Stille herrscht. Geben Sie der Gruppe Zeit und ermutigen Sie die Mitarbeiter, eine Wahl zu treffen. Entscheiden Sie nicht selbst!
Am Anfang habe ich, wenn die Stille zu lange andauerte, eine Pause anberaumt. So hat jeder Zeit zu überlegen, welche Aufgabe er übernehmen möchte. Das gab mir vor allem die Gelassenheit, nicht doch selbst die Entscheidung zu treffen.
Es bleiben immer Aufgaben übrig, die niemand übernehmen möchte. Das ist völlig normal. Hier muss das Team lernen, dass alle mal dran sind diese Aufgaben zu übernehmen. Sie können beim ersten Mal mit gutem Beispiel vorangehen. Machen Sie aber deutlich, dass alle auch mal unangenehme Aufgaben übernehmen müssen. Auch Ihre Leistungsträger. Drücken gilt nicht!
Empfehlung und Zusammenfassung
Die Zuordnung der Aufgaben sollte so oft wie möglich auf freiwilliger Auswahl der Mitarbeiter beruhen. Für mich ist das ein Kernelement einer zeitgemäßen Führung, aber ändern Sie Ihr Führungsverhalten schrittweise. Starten Sie ruhig klein, bei wiederkehrenden Meetings mit einem bestimmten Personenkreis, im Management-Team oder bei bestimmten Anlässen z. B. Mitarbeiter-Feedbacks.
Diese Veränderung ist ein Langstreckenlauf und kein Sprint. Sie benötigt Ausdauer, nicht Kraft. Sie können es nicht erzwingen. Haben Sie daher Geduld mit Ihren Vorgesetzten, Mitarbeiter und vor allem mit sich selbst. Es wird immer wieder Momente geben, wo Sie doch wieder selbst die Aufgaben verteilen und vorgeben. Sie werden tausend Gründe dafür finden. Aber solange Sie nicht aufgeben, werden Sie sich Ihrem Ziel Schritt für Schritt nähern.
Viel Erfolg bei der Anpassung Ihres Führungsprozesses. Wenn Sie Fragen oder einfach nur eine Idee zur Umsetzung benötigen, sprechen Sie mich gern an.
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